Stadt Salé
Übersicht
Mein erster Besuch in Rabat, der Hauptstadt des Königreichs Marokko, führte uns zur Kasbah des Oudaias. Von den Mauern und Zinnen der Festung hat man einen wundervollen Blick direkt auf den Atlantik und die weiter nord-östlich gelegene Stadt Salè. Salé ist die Nachbarstadt von Rabat am nördlichen Ufer des Bou-Regreg an der Atlantikküste von Marokko. Sie ist auch der Hauptort der gleichnamigen Provinz innerhalb der Region Rabat-Salé-Kénitra. Der Name leitet sich von der römischen Stadt Sala Colonia ab, die am gegenüberliegenden Ufer des Bou-Regreg innerhalb der heutigen Chellah lag. Gegründet Anfang des 11. Jahrhunderts war Salé ab dem 12. Jahrhundert eine bedeutende Handelsstadt.
Map Ifrane
Lage
Während des gesamten Mittelalters war Salé der bedeutendste Atlantikhafen Marokkos. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bildete Salé den Mittelpunkt eines von den Alawiden unabhängigen Piratenstaates. Bis ins 19. Jahrhundert war die Stadt für ihre Islamschulen (Madrasas) und Sufi-Heiligen bekannt. Heute gehört sie zum schnell wachsenden Ballungsgebiet von Rabat, in dem ihre Neubausiedlungen die Rolle als Wohnstadt für Fabrikarbeiter übernehmen. Für das Jahr 2011 wurden über 900.000 Einwohner berechnet. Salé liegt etwa 100 Kilometer auf der Autobahn A 3 nordöstlich von Casablanca und knapp 200 Kilometer auf der Autobahn A 1 südlich von Tanger.
Das breite Mündungsgebiet des Bou Regreg stellt an der geradlinigen Atlantikküste einen natürlichen geschützten Hafen dar, dem die Stadt ihre geschichtliche Bedeutung zu verdanken hat. Die Altstadtzentren von Rabat am linken und Salé am rechten Flussufer trennen drei Kilometer Luftlinie. Beide Städte liegen auf Felsterrassen oberhalb der Meeresküste. Den Bou Regreg überquert die vierspurige, Ende der 1950er Jahre erbaute Straßenbrücke Pont Moulay El Hassan, etwa zwei Kilometer von der Küste entfernt, die Straße (Boulevard er Rahba) führt nördlich der Brücke am Jachthafen entlang bis zum östlichen Altstadtrand. Für den Fernverkehr kommen zwei weitere Straßenbrücken einige Kilometer landeinwärts hinzu. Der Flughafen Rabat-Salé befindet sich etwa sechs Kilometer östlich des Zentrums.
Im Mittelalter grasten die Viehherden von Salé im Norden bis zum Sebou, ab dem 19. Jahrhundert gehörte nur noch eine alluviale Ebene zwischen der Sandküste und einem felsigen Gebiet im Hinterland und etwa 16 Kilometer nördlich bis zum Ort Bouknadel zum Weideland der Stadt. Felder mit Baumwolle, später mit Trauben und ab 1900 mit Gemüse wurden in der näheren Umgebung im Flusstal angelegt. Heute wird das flache Hinterland des Bou-Regreg-Beckens ähnlich wie die vom Sebou bewässerte Rharb-Ebene für den Anbau von Getreide, Gemüse und Obstbäumen genutzt. Zugleich gehört der Küstenstreifen ab der 40 Kilometer nördlich gelegenen Industriestadt Kenitra bis nach Casablanca im Süden zu den am dichtesten besiedelten Regionen des Landes und verfügt über die wirtschaftlich stärkste Industrieproduktion. [1]
Geschichte
Abgesehen von neolithischen Siedlungsspuren am nördlichen Ufer des Bou Regreg waren die ersten Bewohner im Gebiet nach antiken Berichten Phönizier, die wohl ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. einen Flusshafen unterhielten. Der erste nachweisbare Siedlungsplatz geht vermutlich auf die Karthager des 3. Jahrhunderts v. Chr. zurück. Er hieß Sala und befand sich am südlichen Ufer. Dieser Ort wurde von den Römern unter Kaiser Claudius (10 v. Chr. - 54 n. Chr.) Anfang des 1. Jahrhunderts n. Chr. erobert und unter dem Namen Colonia Sala zur südlichsten Stadt der mauretanischen Provinz erhoben. Plinius der Ältere (um 23 - 79 n. Chr.) beschrieb Salé als eine von Elefanten bedrohte Wüstenstadt. Die Grundmauern der römischen Siedlung wurden innerhalb der ummauerten mittelalterlichen Nekropole Chellah freigelegt.
Ein Ort namens Salā von unbekannter Siedlungsgröße wurde im 9. Jahrhundert zur Zeit der Idrisiden erwähnt. Er scheint um diese Zeit bereits islamisiert gewesen zu sein. Nach Ankunft der arabischen Fatimiden bestand am südlichen Flussufer eine islamische Grenzfestung (Ribāt), von der die spätere Stadt Rabat ihren Namen übernahm. Die Kämpfe der Fatimiden an der Westgrenze ihrer eroberten Gebiete waren gegen die lokalen Berberstämme um Salé gerichtet. Im 10. Jahrhundert war Salé der Hauptort der Banu Ifran, eines zu den Zanata gehörenden Berberstammes, dessen Einflussbereich sich bis in die Region um Kasba Tadla und ins Atlasgebirge erstreckte. Um 1030 wird von einer Stadt berichtet, die unter den Almoraviden (1061 - 1147) und Almohaden (1147 - 1269) einen bedeutenden Markt und einen überregionalen Seehafen besaß.
Was in späteren europäischen Schilderungen als Salé zusammengefasst wurde, bestand zur damaligen Zeit aus drei Teilen: einer alten Stadt am nördlichen Ufer (Salé), einer neuen Siedlung am südlichen Ufer (Rabat) und dort an der Flussmündung eine Kasbah (Kasbah des Oudaias) an der Stelle des früheren Ribat. In den 1120er Jahren begann in Südmarokko der Aufstand der Almohaden gegen die wegen ihrer Niederlagen auf der iberischen Halbinsel militärisch geschwächten Almoraviden. 1132 besetzte der erste Almohaden-Kalif Abd al-Mu'min (reg. 1130 - 1163) Salé. 1162 errichteten die Genuesen in Salé und 1253 in Safi (südlich von Casablanca) Handelsstützpunkte. Konkurrierende Handelsnationen waren Spanien und Portugal. Der Warentausch zwischen Europäern und aus dem Süden kommenden Karawanen brachte den Hafenstädten Wohlstand; mit den aus Andalusien zugewanderten Muslimen gelangte die reiche maurische Kultur an die marokkanische Küste.
Von Nordosten kommend eroberten ab der Mitte des 13. Jahrhunderts die Meriniden das Almohadenreich. 1248 machten sie Fès zu ihrer Hauptstadt, 1251 dehnten sie ihre Kontrolle bis nach Salé und in den folgenden Jahren bis Sidschilmasa im Südosten aus. Als der erste Merinidensultan Abu Yahya Abu Bakr 1258 starb, war ein Großteil Marokkos erobert. Sein Nachfolger Abu Yusuf Yaqub hatte einige Schwierigkeiten mit der weiteren Befriedung des Reiches, unter anderem, weil ihm sein Neffe Yaqub ibn Abdulla den Herrschertitel streitig machte. 1259 ergriff der Aufständische Besitz von den Nachbarstädten Rabat und Salé und erklärte sie für unabhängig. Um seine Position auszubauen, suchte Yaqub ibn Abdulla Unterstützung bei König Alfonso von Kastilien, der 1260 einen Kreuzzug gegen die Meriniden plante. Für die Spanier schien der Hilferuf des Gouverneurs von Salé zur Unterstützung seiner Revolte eine günstige Gelegenheit, um von dort aus das Christentum weiterzutragen.
König Alfonso (Alfons X. 1221 - 1284) entsandte von Cádiz eine Flotte bestehend aus 37 Schiffen, die Anfang September 1260 Salé erreichte. Den zunächst für Händler gehaltenen Spaniern fiel es leicht, in die Stadt einzudringen, wo sie mordeten, plünderten und Verwüstungen anrichteten. Abu Yusuf Yaqub eilte mit seiner Armee in schnellem Marsch von Taza im Osten zur Befreiung von Salé. Nach zweiwöchiger Belagerung gaben die Spanier auf und zogen, nachdem sie Feuer gelegt hatten, Ende September mit ihren Schiffen ab. Yaqub ibn Abdulla hatte sich schon vorher zu anderen Abtrünnigen seiner Familie in die nördlichen Rifberge zurückgezogen. Die vermutlich beabsichtige Einrichtung eines spanischen Stützpunkts war misslungen. Als Konsequenz daraus wurde die Stadt befestigt. Erst mit der Einnahme von Marrakech 1269 durch Abu Yusuf Yaqub war die Herrschaft der Almohaden vollständig beendet.
Sidi Ahmed ben Aschir
Abu Yusuf Yaqub blieb bis 1271 in Marrakech. Auf dem Rückweg nach Fès kam er durch Salé, wo er seinen Sohn Abu Yaqub Yusuf (reg. 1286–1307) offiziell zu seinem künftigen Nachfolger ernannte. Während der Merinidenzeit wurde Sidi Ahmed ben Aschir (Sīdi Aḥmad Ibn ʿĀšir al-Anṣārī, 1300 - 1362) als Sufi-Heiliger der Stadt berühmt. Aus ganz Marokko kamen Pilger zu ihm, um seinen Segen (Baraka) zu erhalten. Ben Aschir konnte das raue Meer und Stürme beruhigen, weshalb seine Grabstätte später zu einem Pilgerort für Seefahrer und Piraten wurde. Der beste Schüler ben Aschirs wurde Ibn ʿAbbād (1332 – 1390) aus dem spanischen Ronda, der nach seiner Ausbildung in der malikitischen Rechtstradition in Tlemcen und Fès nach Salé kam. Er war ein sehr disziplinierter Anhänger des Schādhilīya-Ordens, der nach alter asketischer Tradition nur jeden zweiten Tag Nahrung zu sich nahm. Salé war für ihn ein Ort der Meditation und geistigen Genesung.
Piratenrepublik
Während der Blütezeit unter den Meriniden und bis ins 19. Jahrhundert tauchten weitere bedeutende Heilige in Salé auf. Als Folge der Reconquista waren Jahrhunderte lang Mauren aus der iberischen Halbinsel zurückgekehrt und in Salé mit offenen Armen empfangen worden. Die letzten Mauren kamen als zwangsweise zum Christentum bekehrte Morisken, die in Massen zwischen 1609 und 1614 nach Marokko vertrieben wurden. Wie ein zeitgenössischer Historiker aus Salé schilderte, machten sich die Neuankömmlinge in der Stadt durch unislamische Verhaltensweisen und Kleidung unbeliebt, weshalb sie in ein eigenes Stadtviertel auf der anderen Flussseite in der Nähe der Kasbah ziehen mussten. Rache gegen die Spanier ließ sie unter al-Ayyaschi zu erbittert kämpfenden Piraten werden. Einen ungewöhnlichen Zulauf erhielten die Piraten durch den niederländischen Seefahrer Jan Janszoon (um 1570 - um 1641), besser bekannt unter dem arabischen Namen Murad Reis.
Zunächst ein Pirat auf eigene Rechnung, der spanische und andere Schiffe kaperte, verschlug es ihn von seinem vorigen Stützpunkt Algier 1619 nach Salé, wo er zum amīr al-bahr der Piratenflotte aufstieg. 1623 ernannte ihn Sultan Mulai Ziden (reg. 1608 - 1623) zum Gouverneur von Salé. Vermutlich war es keine echte Ernennung des Sultans, sondern nur die Bestätigung einer vollendeten Tatsache, um den äußeren Anschein des Souveräns zu wahren. Der zum Islam übergetretende Holländer erhielt 1624 zur Festigung der Beziehung eine Tochter des Sultans als seine dritte Frau. Der Verkauf gestohlener Waren, sonstige Handelsgeschäfte und Hafenzölle verhalfen Murad Reis und der Stadt zu großem Wohlstand. Auch der Sklavenhandel war von wirtschaftlicher Bedeutung. Ab 1627 verschlechterten sich für ihn die politischen Verhältnisse, da die Führung der Kasbah die unabhängige Republik Bou-Regreg gründete. Deshalb verlagerte er seine Basis wieder nach Algier und verstärkte seine Piratenzüge auf See.
Immer höhere Tributforderungen machten die Piraterie bald unrentabel, die in ihrer großen Zeit die Meere von Nordafrika bis Island und Neufundland unsicher gemacht hatte. Piratenüberfälle gegen Handelsschiffe wurden dennoch auch im 18. Jahrhundert fortgesetzt, was zur Folge hatte, dass mehrmals englische und französische Schiffe die Stadt beschossen. Nach dem Tod des zweiten Alawidensultans Mulai Ismail 1727 brachen im Land Unruhen aus, die den Einheitsstaat beendeten. Zwischen Salé und Rabat gab es wieder Gefechte, da beide Städte einen anderen Sohn Ismails im Thronfolgekrieg unterstützten. 1755 richtete ein Erdbeben große Schäden an. Anfang des 19. Jahrhunderts endete die Piraterie und Salé verlor seine Bedeutung. In einer Zeit des ökonomischen und politischen Wandels verarmten die meisten Einwohner, während Rabat durch den Seehandel mit Europa ein wirtschaftliches Wachstum erlebte. [1]
Juden in Salé
In der Geschichte von Salé spielten die Juden eine große Rolle. Die älteste jüdische Gruppe, die in Afrika alteingesessenen Toschavim, siedelte möglicherweise bereits in vorislamischer Zeit in Salé. Von der Iberischen Halbinsel kamen seit Ende des 15. Jahrhunderts zusammen mit den christianisierten Morisken vertriebene Juden (Megoraschim) und jüdische Händler aus Westeuropa (Sephardim), die sich überwiegend in Rabat niedergelassen haben dürften. Die Juden lebten mehr oder weniger verstreut zwischen den muslimischen Vierteln. Ab 1807 zog die jüdische Gemeinde von ihren bisher „alte Mellah“ genannten Wohngebieten in eine separate neue Mellah im Südosten. Bei ihrer Einrichtung besaß dieses Judenviertel etwa 200 Häuser, 20 Einkaufsläden und einige Synagogen, die sich an der Durchgangsstraße zwischen dem Tor Richtung Medina und dem breiten Tor (Bab el-Mrisa) am alten Hafen reihten. Nachts schloss man die Tore.
Karte des Straßenbahnnetzes der Agglomeration Rabat-Salé in Marokko - eingebunden über Wikimedia Commons
Neustadt
1911 wurde Salé von den Franzosen besetzt und erlebte als stiller Handwerkerort, wie Rabat zur Hauptstadt des Protektorats Französisch-Marokko erklärt wurde. Die französische Politik marginalisierte Salé. Eine Wende – und die dritte Phase in der Stadtentwicklung des 20. Jahrhunderts – trat erst nach dem Ende der Kolonialzeit (1956) mit der Landflucht ein, die Dörfler aus wirtschaftlich benachteiligten Regionen in die Städte trieb. Die Einwohnerzahl betrug 1994 nach der Volkszählung 631.803, bei der Volkszählung 2004 waren es 823.485. Für 2011 wurden 933.910 Einwohner berechnet. Vor dem nördlichen Tor an der Ostmauer, dem Bab Fès, fahren am großen Place Hassan Stadtbusse in alle Richtungen ab. Der Platz ist Kreuzungspunkt der Ausfallstraßen Richtung Kenitra (Norden), Rabat (Süden) und Meknès (Osten). Wenige hundert Meter nördlich befindet sich der Bahnhof der Stadt.
Tipps:
Wer mehrere Tage in Rabat weilt, hat die Möglichkeit, Salé mit der sogenannten Tramway zu besuchen. Es handelt sich hier um eine Straßenbahn, die Rabat und Salé miteinander verbindet. Im Dezember 2007 war offizieller Baubeginn für die Tramway Rabat-Salé, eine Bahn, die in zwei Linien mit 20 Kilometern Länge den Ballungsraum Rabat-Salé erschließt. Betreibergesellschaft ist die Société du Tramway de Rabat–Salé (STRS), das Kernstück der Anlage ist die Straßenbahnbrücke über den Bou Regreg. Im Mai 2011 wurde das Netz in Betrieb genommen. Diese Linien erschließen viele Sehenswürdigkeiten in Rabat und Salé. Für die Besichtigung der Medina von Salé empfehle ich die Linie 2 bis zum Bab Lamrissa und von hier zu Fuß durch die Altstadt. Schön ist ein Bummel entlang der alten Stadtmauern und Tore.
Quellenangabe:
1.: Die Informationen zur Geschichte von Salé basieren auf dem Artikel Salé (20.09.2018) und stammen aus der freien Enzyklopädie Wikipedia. Sie stehen unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
Die Fotos "Bab el-Mrisa; Sackgasse im Wohngebiet der Medina; Qubba von Sidi Ahmad Ibn Asir am Westrand der Altstadt; Bereich der ehemaligen Mellah in Salé; (4 Fotos) - Autor: Bertramz" - "Medersa aus der Zeit der Meriniden; Stadttor Bab M'alqa; Bordj Addoumoue - Kanonen; (3 Fotos) - Autor: Ismael zniber" - "Stadtmauer am Atlantik - Autor: Anass Sedrati" unterliegen der Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported und dürfen unter deren Bedingungen weitergegeben werden.